Eschborn, den 21.01.2020

 

Wütende Ohnmacht   (Lk 6,11)

 

Die Pharisäer und Schriftgelehrten aber packte eine sinnlose Wut. (Lk 6, 11, NGÜ)

 

Hallo Du,

Wer ist schon gerne schwach, hilflos, unfähig, wütend und machtlos? Wohl niemand, denn

Unvermögen, Schwäche, Kontrollverlust oder Ohnmacht machen unsicher oder mutlos.

Wer nicht mehr ‚sein eigener Herr ist‘ oder ‚einer Sache nicht mehr Herr wird‘, der fühlt sich

verloren und abhängig.

Menschen neigen dann dazu, ihren Unmut, Ärger und Zorn, ihre Empörung, Rage und Wut in

heftigen Worten und/oder unbeherrschten Handlungen auszudrücken. Sie wüten, toben und

rasen, werden wütend, gewalttätig und zerstörerisch, sind völlig außer sich und wuterfüllt.

Sie wollen etwas unbedingt erreichen, bewirken oder durchsetzen, können es aber nicht.

Sie versuchen es immer wieder, wollen es erzwingen, doch es misslingt trotzdem.

 

Die eigenen Grenzen zu erkennen, der eigenen Hilflosigkeit ohnmächtig ausgeliefert zu sein, das

erträgt man nicht gerne. Dagegen muss man sich mit aller Macht wehren! Wer will schon als Memme

und Verlierer dastehen und ungeachtet sein? Da ist es viel besser, ein Held zu sein und verbissen

weiterzukämpfen, vielleicht mit antreibenden Selbstvorwürfen. Die Alternative, nämlich aufzugeben,

und damit Schmach auszuhalten und Schwäche einzugestehen, die ist undenkbar!

Doch weil wir nicht allmächtig sind, obwohl wir das oft genug glauben, verstärkt das ‚Erzwingen

wollen‘ nur unseren Unmut und darunter leiden auch die Menschen, die uns nahe sind. Sie

bekommen unsere ohnmächtige Wut ab. Wir selbst bleiben unausgeglichen, ohne inneren Frieden

und Gelassenheit. Unruhe, liebloses Verhalten, Stress und Überreaktionen sowie psychosomatische

Verkrampfungen und Blockaden sind die Folge. Wir sind dann wie besessen und können nicht mehr

klar denken. Die Wut beherrscht uns. Wie nur kommen wir davon wieder runter?

 

Die Kernfrage ist aber: Weshalb reagieren und verhalten wir uns so?

Das hat etwas mit der eigenen Einstellung zu tun, die wir von anderen gelernt oder übernommen

haben. Die besagt beispielsweise: ‚Ich bin nur jemand, ein Held oder eine Heldin, wenn ich keine

Schwächen habe und zeige, wenn ich möglichst viel kann, wenn ich erfolgreich bin!‘

Wenn wir darüber nachdenken, erkennen wir vielleicht unbewussten Hochmut, vielleicht auch

Überheblichkeit, Lebensblindheit und die Verdrängung eigener Schwächen.

 

Aber, als Menschen sind wir nun einmal unvollkommen, begrenzt und hilfsbedürftig. Das ist normal!

Niemand kann alles erreichen. Und das ist gut so, denn gerade diese Einsicht erdet uns, macht uns

menschlich und ermöglicht Mitmenschlichkeit. Wer sich das eingesteht, kann sich nicht mehr

blamieren, der muss sich nicht mehr über eigene Mängel aufregen oder wütend ausrasten. Der muss

auch nicht mehr dagegen angehen.

Mögen wir denn perfekte Menschen, eingebildete, pharisäerhafte Menschen, die so tun als wären

sie fehlerfrei? Eher nicht. Wer sich selbst liebt, akzeptiert seine Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit.

Nicht, indem er sich aufgibt, sondern indem er seine Ohnmacht anerkennt und fremde Hilfe sucht,

jemanden, der ihm weiterhilft, der ihn ergänzt, der andere Fähigkeiten und Begabungen hat oder der

Allmächtig ist, Gott.

 

Das Gegenteil von wütender Ohnmacht ist m.E. liebevolle Allmacht. Das Gegenteil von Wut ist z.B.

Freude, Sanftmut, Ruhe und Ausgeglichenheit und die entstehen, wenn man über den eigenen

Schwächen steht und sie akzeptiert, wenn man in sich ruht, also nicht ‚außer sich‘ ist, wenn man

souverän ist und wenn man mit dem zufrieden ist, was man hat, ist und bekommt.

 

Paulus hat Gott mehrfach gebeten, ihn von einem ‚Stachel in seinem Fleisch‘ zu befreien. Doch dann

erkennt er (2. Kor 12, 7- 9): Gott selbst hat dafür gesorgt, dass ich mir auf die unbeschreiblichen

Offenbarungen, die ich empfangen habe, nichts einbilde. Deshalb hat er mir ein quälendes Leiden

auferlegt, … damit ich nicht überheblich werde. Aber Gott hat zu mir gesagt: »Meine Gnade ist alles,

was du brauchst! Denn gerade wenn du schwach bist, wirkt meine Kraft ganz besonders an dir.«

Darum will ich vor allem auf meine Schwachheit stolz sein. Dann nämlich erweist sich die Kraft von

Christus an mir.

 

Auch ich kenne solche Stachel. Oft genug habe auch ich mich an ehrgeizig auferlegten Lasten

überhoben und musste darunter leiden. Heute, über 70, erkenne ich immer mehr Schwächen an mir,

aber auch deren Vorzüge. Ich bin froh, dass ich sie jetzt frühzeitig erkenne, denn das schützt mich

davor, mich vergeblich anzustrengen, sie zu vertuschen oder gar zu Stärken machen zu wollen.

Weise geworden, bitte ich Gott um seine Hilfe. Ich vertraue ihm. Er hat mir oft genug seine

fürsorgende Güte bewiesen. Er hat Liebe, Empathie und Sanftmut in mich gelegt, die ich früher als

‚unmännlich‘ ignoriert habe. Heute weiß ich, dass sie ein großes Geschenk sind. Meine ‚vermeintlichen

Schwächen‘ sind erstaunlicherweise Stärken, denn in ihnen und mit ihnen wirkt die

wohltuende Kraft Gottes, die Berge versetzen kann.

Meine schroffen Berge wurden in fruchtbare Hügel voller Leben, Fröhlichkeit, Offenheit und

Begeisterung verwandelt auf denen Erleichterung, Frohsinn und Dankbarkeit blühen und mit ihnen,

Geduld, Güte, Nachsicht und Selbstbeherrschung, Wohlgefallen und Frieden.

 

 

Alle, die Gott missachten, sehen es und ärgern sich, sie knirschen mit den Zähnen und vergehen vor

Wut. Denn was sie sich erträumt haben, zerrinnt in nichts. (Ps 112,10; HfA)

 

 

 

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