Urvertrauen
Hallo Du,
Gott macht keine Fehler,
die Menschen schon,
besonders dann,
wenn sie überfordert sind,
wenn sie um das eigene Gleichgewicht ringen
oder es bereits verloren haben.
Und das kommt leider immer häufiger vor,
weil die äußeren Abhängigkeiten und Zwänge zunehmen,
weil kaum Zeit für Besinnung, Abstand und Heilung bleibt;
weil Körper, Geist und Seele nicht mehr im Lot sind.
Unser Körper ist eine perfekte Hochleistungsfabrik,
in der alles vollautomatisch abläuft,
wenn wenige Bedingungen erfüllt werden,
wenn er Nahrung, Pflege und Schlaf bekommt.
Er ist wartungsfrei
und regeneriert und heilt sich sogar von selbst, –
wenn man ihm Zeit dafür gibt und ihn lässt.
Ich habe ein festes,
oft bestätigtes Vertrauen in meinen Körper,
denn er hat und kann alles,
was er braucht, um sich zu erhalten
und um das Leben weiterzutragen.
Ich muss mir deswegen keine Gedanken oder Sorgen machen,
denn er ist autonom;
in ihm klappt alles wunderbar und von alleine.
Das entlastet mich!
Das macht mich frei und gibt mir Kraft für anderes!
Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für unseren Verstand,
denn er ist ein Teil des Körpers, – nicht umgekehrt.
Er dient dazu,
die äußeren Grundbedürfnisse zu erfüllen.
Er sorgt für Nahrung, Pflege und Sicherheit.
Er orientiert sich am gegebenen Lebensrahmen
und findet darin den Überlebensweg
für Körper, Seele und sich selbst.
Er lernt das Nötige,
um mit ihnen zu leben und zu überleben,
um mit ihnen eins zu sein oder zu werden.
Wenn er Bedingungen vorfindet,
die sein ganzheitliches Sein und Wesen,
die seinen Lebenssinn und seine Pflicht zur Erhaltung
der Gesundheit und Lebensfähigkeit gefährdet,
dann muss er sich neu orientieren, bewegen,
einen neuen, günstigeren Raum und Rahmen suchen und finden,
in dem er sich erfüllen und verwirklichen kann,
in dem er in Fülle leben und erleben kann.
Dazu drängt ihn eine innere Stimme,
durch Unruhe, Unzufriedenheit, Schlaflosigkeit oder Angst;
dazu drängen ihn sein Selbsterhaltungstrieb und sein Gewissen;
dazu drängt ihn seine liebende, sehnende, unerfüllte Seele.
Immer dann, wenn das Individuum,
wenn das „Ich“ nicht weiterkommt,
braucht es Hilfe,
Hilfe von außen,
körperlichen, geistigen und seelischen Beistand,
den es in der Begegnung und Verbindung
mit anderen, liebevollen Menschen sucht,
oder den es in dem verständnisvollen und gütigen Gott findet.
Und jetzt wird es etwas komplizierter,
denn jeder Mensch möchte leben, erleben, überleben,
sieht sich selbst in seiner Seelennot zuerst
und stellt deswegen letztlich das „Ich“ vor das „Du“
und erst recht vor das „Wir“.
Wie viel Vertrauen kann ich in einen anderen Menschen haben?
Welche Erfahrungen habe ich mit anderen Menschen,
mit meinem Vertrauen in andere Menschen,
mit dem „Du“ und dem „Wir“ gemacht?
Als kleines Kind war ich hilflos und schwach.
Ich habe meine Eltern gebraucht,
um überleben zu können,
um körperlich und geistig wachsen zu können,
um groß, stark, erwachsen und selbständig zu werden,
um mich und mein Wesen verwirklichen zu können.
Ich habe die Liebe und Fürsorge anderer benötigt,
deren handfestes und praktisches Beispiel,
deren Zuverlässigkeit und Großzügigkeit,
um seelisch stabil, selbstbewusst und vertrauensvoll zu werden,
um ein Urvertrauen zu bilden und in mir zu verankern,
das mich dauerhaft trägt und auf das ich in der Not bauen kann.
Ich habe gelernt,
dass die selbstlose Liebe, Aufmerksamkeit und Hingabe anderer
mich offen, stark und zuversichtlich macht.
Oder aber,
ich habe keine oder nicht genügend Liebe,
Zuneigung, Zuwendung und Verständnis erhalten,
ich musste schon als Kind um alles Notwendige kämpfen,
es mir irgendwo selbst besorgen und von anderen nehmen.
In diesem Klima von Misstrauen und Überlebenskampf,
von Selbstbezogenheit und Wettbewerb,
von Eifersucht, Geltungsdrang, Spannung und Krampf,
von Lüge, Betrug, falschen Versprechungen und Enttäuschungen,
im Kampf und in der Vorteilsnahme, einer gegen den anderen,
im immer wieder unterlegen und benachteiligt sein,
konnte kein Vertrauen wachsen
und erst recht kein Urvertrauen entstehen.
In einer solchen Welt,
gibt es nur wenig Verständnis für ein „Du“ oder „Wir“,
habe ich nur wenig Vertrauen zu mir selbst,
zu meinem bedürftigen, oft unterlegenen „Ich“,
zu meinen egoistischen, lieblosen Mitmenschen
und zum ach so schweren, mühsamen Leben.
Meine Seele ist ängstlich, voreingenommen und verschlossen.
Mein Verstand ist kritisch, unabhängig und selbstbezogen.
Mein Körper ist verunsichert, gehemmt und verkrampft.
Meine Situation erscheint verworren und ausweglos.
Und doch,
es gibt einen Weg zu mir selbst und damit zum Leben.
Ich muss das Gute in mir finden,
es lieben lernen, darauf bauen und vertrauen,
es tun und verstärken.
Ich muss Gott in mir finden,
die Begabungen und Fähigkeiten entdecken,
die er mir in die Wiege gelegt hat,
die mir niemand nehmen kann
und die mich stark und einmalig machen.
Ich muss Jesus in mir finden,
seine aufopfernde Liebe für mich entdecken,
seinen Beispiel gebenden Charakter,
seine Selbstlosigkeit, Gerechtigkeit und Anständigkeit,
seine niemals enttäuschende Anwesenheit und Wirklichkeit erleben,
damit ich ein entlastendes Urvertrauen bilden kann und bilde.
Und in dem wiedererwachten, auferstandenen Urvertrauen
zu einem gutmeinenden, liebenden Gott,
im unerschütterlichen Gottvertrauen,
ersteht die Sehnsucht nach dem „Wir“,
nach der Bestätigung der menschlichen Verbundenheit
und der alles verbindenden Liebe.
Und in der Vertrautheit mit Gott,
in seiner ständigen Anwesenheit und Führung,
werde ich wieder bereit und neugierig für das „Du“,
für die wundervolle Öffnung und vertrauende Hingabe
an einen anderen Menschen, den ich entdecken und lieben darf,
der das „Du“ kennt und schätzt,
der das „Wir“ ermöglicht und bestätigt,
es zur Freude werden lässt,
der mein Urvertrauen nährt und stützt,
der in Gott verankert ist
und sich vertrauensvoll von seinem Geist leiten lässt.
Im „Wir“ ,
in der Gemeinschaft mit anderen,
finde ich alles, was ich zum Leben brauche.
Auch meinen Lebenssinn,
auch das Hilflose und Schwache in anderen,
das meine selbstlose Liebe freisetzt
und mich zum Ursprung
von neuer Hoffnung und neuem Urvertrauen macht.
