sich hingeben
Hallo du,
es ist schon interessant, wie vielschichtig und aufschlussreich Sprache ist.
Nehmen wir die zwei Worte der Überschrift. In ihnen steckt Dynamit.
Nehmen wir zuerst das unscheinbare Wörtchen ‚sich‚. Es ist ein Reflexivpronomen oder Fürwort.
Es weist auf ein Subjekt hin, auf das Hauptwort, auf die Hauptsache im Satz. ‚Otto freut sich‚, es weist auf Otto hin, der etwas tut. Otto ist die Hauptsache, er freut sich.
Nun nehme doch mal dich selbst und setze anstelle von Otto deinen Namen ein, z.B. ‚Petra‘ freut sich.
Das ist befremdlich. Da sagen wir lieber: ‚Ich freue mich‘, was so viel heißt wie: Mein Ich freut sich.
‚Mich‘ bedeutet mein Ich; ’sich‘ bedeutet, sein Ich.
‚Mein‘ ist die Sicht aus mir heraus, ’sein‘ ist die Sicht auf jemanden oder etwas, die Sicht auf Otto oder auf Petra oder quasi von außen auf mich selbst.
‚Sich schämen‘ bedeutet: ein Mensch schämt sich und dieser Mensch kann auch ich sein: Ich schäme mich. – Mein Ich schämt sich. – Mein Ich schämt sich für mich.
Oder: Wenn Otto und Petra sich streiten, dann streitet ihr Ich miteinander oder besser gesagt gegen-einander. Nun ja, eigentlich streiten sie sich, weil sie mit ihrem Ich, mit sich selbst nicht im reinen sind.
Das hört sich verzwickt an, weil es eine ungewohnte Betrachtung ist, doch wenn dir Worte wie mich, dich und sich begegnen, dann lese doch ‚Mein Ich‘, ‚Dein Ich‘ oder ‚Sein Ich‘, dann ist es wieder einfach.
Nun gehen wir zu dem Wort ‚hingeben‘. Das hat einen altertümlichen Klang. In ihm stecken die Bedeutungen von: ab-geben, weg-geben, auf-geben.
Wohin gebe ich? Ich gebe an andere ab, von mir weg, gebe etwas auf, lasse etwas los.
Was gebe ich hin? Etwas von mir. Etwas reales und anfassbares, etwas was ich besitze oder habe wie Geld oder Gut oder etwas irreales, nicht anfassbares bzw. ideelles, wie Gedanken, Gefühle, Wertvorstellungen, Einstellung, Erwartungen, Wünsche oder Absichten. Ich gebe mein Geld hin oder meinen kaputten Schrank und auch: ich gebe meine Liebe hin, meine Angst, meinen Hass, meinen Stolz, meinen Hochmut, meinen Kaufzwang. Ich gebe etwas auf, was mir wichtig war, was mich bestimmt und ausgemacht hat, was mich aufgeregt und belastet hat.
Und nun kommen wir zum Kern: Niemand gibt gerne etwas ab oder auf. Das fällt uns richtig schwer. Das kostet Überwindung. Eigentlich tun wir das nur, wenn wir gar nicht mehr anders können. Und wir beginnen mit dem, was uns am wenigsten wert ist, was uns am wenigsten bedeutet.
Dabei entdecken wir, dass Besitz bindet, verpflichtet und unbeweglich macht. Er hat Macht über uns. Mein Haus muss geputzt und meine Waschmaschine repariert werden; mein Geld will ausgegeben werden, sonst ist es ja wertlos; mein Hund muss Gassi geführt werden; mein Stolz will auf mich zeigen; mein Hochmut auf meinen Mut, meine Angst auf meine Unsicherheit und Zweifel.
‚Hingeben‘ hat auch die Bedeutung von opfern und darbringen und darin legt die Dimension des Göttlichen. Ich bringe mich Gott dar. Ich bringe Gott mein Ich dar. Ich unterstelle mich Gott.
Und ohne mein Ich verliere ich meine rosarote, selbstbezogene Brille, meinen Ich-Filter, meine Selbstzentriertheit. Dann bin ich ein anderer. Nicht mehr das Subjekt, die Hauptsache, sondern ein Objekt, ein Teil vom Ganzen, ein kleines aber wichtiges Rädchen im großen Uhrwerk. Die Gesamtheit wird zur Hauptsache. Gott, der alles erschaffen hat, wird zur Hauptsache. Seine Schöpfung ist die Hauptsache. Mein Ich wird zum Es, zum Kind Gottes.
Wie kann ich jetzt von mir reden? Wie berichten was ich als Kind Gottes tue oder empfinde? Wie deutlich machen, was sich bei mir verändert hat? Das Wort ‚ich‘ weist doch immer wieder auf mich, auf mein Ich. Ein echtes Dilemma – in der Sprache und im Leben.
Nun, ich kann das Ich umgehen, indem ich nicht mehr über mich rede, sondern das Neue in mir tue, zeige und lebe. ‚Geben‘ ist ein Tuwort. Mein Tun zeigt mich den anderen, wortlos, überzeugend und effektiv. Im neuen Tun zeigt sich meine Hauptsache, meine Beziehung und Verbindung mit Gott.
Oder ich verwende nur noch Worte wie wir und uns, damit sichtbar wird, dass das Ganze vorgeht. Aber auch das bleibt verwirrend.
Also braucht es auch ein Wort, eine neue Bezeichnung für das neue ich. Wenn dem lateinischen Wort ‚Ego‘ (Ich) das große E genommen wird, wird es zu ‚go‘, zu gehe, tue, setze dich ein, zu dem, was Go-tt will, liebe.
Wenn das deutschen Wort ‚Ich‘ um das große I beschnitten wird, wird es zu ‚ch‘, zu den Anfangsbuchstaben von Christus, dann ist unser Beginn und unser Haupt Christus, der Auferstandene, der in uns neu auferstandene Jesus, unser neuer Herr, den wir über unser altes Ich gestellt haben. In ihm geht mein altes Ich auf.
Und nun kann ch sagen und schreiben, dass ch ein neuer Mensch geworden bin, dass ch mich nicht mehr in den Vordergrund schiebe und ch mich nicht mehr als Mittelpunkt sehe. Ch bin ein Teil von Christus, ein Teil von Gott.
Das sprachliche Dilemma wird so behoben, das menschliche jedoch nicht. Auch mein neues Ch ist Teil des Lebens. Ch lebe auch noch in dieser Welt und bin ihren Gesetzmäßigkeiten ausgesetzt. Meine Aufgabe bezieht sich auf das Hier. Gott belässt uns in dieser Welt, damit seine Gaben hier in uns und durch uns wirken: füreinander, untereinander und miteinander.
Ch lebe in zwei Welten. Eine neue Spannung ist in mir. Manchmal zieht es mich zurück in mein altes Ich – häufig suche ich Christus und berge mich in ihm und der himmlischen Welt. So wird die Spannung in mir auch im I-ch deutlich und weist mich auf meine eigentliche Aufgabe hin, mitzuhelfen, dass die Menschen der Welt sich mit Christus verbinden, dass sie ihr altes Ich opfern, es Gott hingeben und damit sich selbst in Gottes Hand geben um für ihn bei anderen durch Dank und Lob zu werben.
I-ch, die Verbindung zwischen meinem alten Ich und Christus ist der Bindestrich, die verbindende Liebe, Gottes Geist, der das alte Ich mit Christus verbindet. I-ch, ist auch ein Teil von I-ch-th-y-s (Jesus Christus, Gottes Sohn, unser Erlöser) der Kurzform des christlichen Glaubensbekenntnisses.
I-ch bin. Am Anfang war das Wort. Jesus lebt.
Seine Auferstehung in uns ist immer wieder ein neues Wunder.
Er verwandelt. Mein Ich ist ihm untertan.
Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. (Röm 11,36)
