Eschborn, den 2.01.2021
Schöne Momente und andere (Mk 4, 26 -28)
Hallo Du,
beim nachweihnachtlichen Aufräumen fand ich einen vergessenen USB-Stick mit alten
Urlaubsbilder, die ich mir natürlich gleich ansah. Dabei kamen Erinnerungen zurück, die das
damalige Geschehen vergegenwärtigten. Bei einigen Bildern waren; neben dem schlichten
Sehen, auch das Fühlen, Riechen und Empfinden so real und stark, als wäre der Moment
gerade jetzt. Und weil das wahrscheinlich viele kennen, spüre ich diesem Phänomen einmal
genauer nach.
Schöne Momente haben etwas Bedeutsames, etwas Erhabenes und Berührendes, etwas
Eindrückliches und Ergreifendes. Sie sind besonders. Es sind Momente, in denen wir gerne
verharren würden oder, die wir immer wieder erleben möchten, die uns glücklich machten
und machen, die wir im Grunde ständig suchen und herbeisehnen. Sie sind sie Highlights in
unserem Leben. In ihnen empfinden wir tiefe und erfüllende Freude, aus der wir Kraft
schöpfen und immer wieder, im Erinnern, schöpfen können.
Es sind die Momente, in denen wir Schönheit entdeckt und erkannt haben, sie bewusst
wahrgenommen, aufgenommen und genossen haben. Es sind Momente, in denen wir das
‚Uns umgebende‘ annehmen, darin aufgehen und mit ihm verschmelzen. Es sind
geschenkte Momente, in denen wir uns wohl und geborgen fühlen, geliebt, gesehen und
bestätigt. Es sind Momente, in denen wir uns zuhause fühlen, in denen wir Gott spüren und
ihm nahe sind.
Beim wiederholten Betrachten der wenigen besonderen Bilder fällt mir auf, dass sie
vorwiegend Neues und Unbekanntes festgehalten haben, für das ich, in gelassener
Urlaubsstimmung, offen und vorbehaltslos war, für das ich mir Zeit nehmen konnte, das
mich berühren durfte und ich es genießen konnte.
Leider, zurück im Lebensalltag, eingezwängt in Pflichten und Zeitvorgaben, ausgerichtet auf
erfolgreiches Bestehen im Geschehen, in Herausforderungen und an anstrengenden Tagen,
wurden diese schönen Momente wieder vergessen. Sie waren wie ausgelöscht. Sie hatten
ihre belebende Kraft und ihre bezaubernde Magie verloren, weil ich zurückgefallen war in
die tägliche Routine, in den oft unerfreulichen Alltagstrott, der Augen, Ohren und Herz
verschließen kann und abstumpfen lässt.
Ist das nicht auch innere Armut, wenn Lebensschätze und die Kraftquellen vergessen
werden. Sie hatten doch eine Bedeutung. Was haben sie damals bewirkt? Was gewendet?
Ich weiß es nicht mehr. Aber jetzt wird mir bewusst, was sie vermögen. Sie können auch
nachträglich noch zu Wendepunkten werden. Es fällt mir auf, dass sie sogar im traurigen
Corona-Jahr 2020 reichlich vorkamen und es erträglich machten. Und auch jetzt, im
Schreiben, empfinde ich tiefe Freude und große Dankbarkeit dafür. Gut, dass ich diesen
Stick gefunden habe. Ich werde schöne Momente nicht mehr vergessen. Ich werde sie und
das Erkannte bewahren und mehr von ihnen erzählen. Und, ich werde Gott immer wieder
um solche Momente bitten, für andere und für mich.
Eigentlich könnte ich hier aufhören, doch mir kommt die Redewendung ‚Friede, Freude,
Eierkuchen‘ in den Sinn, die auf eine ungetrübte, aber fragwürdige Harmonie hinweist.
Und ich werde ermutigt, auch noch über die anderen Momente zu schreiben, über die
weniger schönen, über die Schweren und Schlechten, über die, die man lieber verschweigt
und schnell vergisst.
Auch Bilder mit solchen Momenten fand ich. Sie hatte ich schnell überblättert oder wollte
sie sogar löschen. Doch gerade sie hatten etwas zu sagen. Auch waren prägend. Leider
zunächst negativ. Sie hatten mich damals begrenzt und trüben teilweise heute noch meine
Wahrnehmung und beeinträchtigen meine Lebenskraft und Lebensfreude. Doch: Auch sie
sind geschenkte Momente Gottes! Geschenke, die auf etwas hinweisen wollten,
Geschehnisse, die schmerzten aber heilen wollten. Sie anzunehmen, erfordert Mut und
Vertrauen. Die Liebe Jesu ermöglicht, sie mit ihm und aus seiner Sicht zu betrachten.
Weshalb wollen wir sie vergessen? Weswegen haben sie uns schmerzlich getroffen?
Was hat uns verletzt? Was haben sie mit unserem Selbstverständnis und unserem Ich
gemacht? Was wollten und konnten wir damals noch nicht erkennen und zulassen?
Ich gehe tief in mich, halte mich dabei fest an der Liebe Jesu und erspüre die versenkten
Untiefen. Und, seltsam, statt erneut aufkommender, abschreckenden Angst durchströmen
mich erstaunlicherweise Erkennen und Freude. Weshalb? Ich bin nicht mehr der, der ich
war. Ich wurde verändert. Aus heutiger Sicht kann ich mich und meine damalige begrenzte
Einsicht und Einstellungen verstehen. Sie waren durch ungünstige Umstände prägend in
mich eingepflanzt und hatten mich bestimmt. Doch das ist nicht mehr so. Mir wurde
ergeben. Ich habe Frieden gefunden.
Auch schwierige Momente sind Gottesgeschenke. Sie dienen der Selbsterkenntnis.
Sie hatten mich erschüttert aber auch geschüttelt und aufgeweckt. Sie hatten mich
verunsichert und nachdenklich gemacht. Doch, sie haben nachträglich auch Gutes bewirkt.
Gerade sie, haben mich verändert. Sie wurden mir zu Wegweisern auf der Lebensreise, zu
Meilensteinen hin zu Gott, zu Türöffnern hinein sein Reich der Liebe und Vergebung.
Ja, auf diesem Weg geschieht Rettung und Heilung. Errettung aus falschen Ansichten und
Bindungen sowie Heilung durch Erkenntnis, Liebe und Vergebung, auch durch göttliche
Reinigung und Neuausrichtung. Blinde werden sehend und Taube hören plötzlich auf Gott.
Gott sei Dank. Ich habe mich vertrauensvoll führen lassen und dabei gelernt, dass er das
scheinbar Schlechte zum Guten wendet. In dieser Erkenntnis schrieb ich einst, in schwerer
Zeit, das Gedicht: Krise komm, du bitt‘re Qual.
Gut, dass es schöne und schlechte Momente gibt. Die Schönen zeigen, was alles Gott
möglich ist. Sie schenken Kraft, Hoffnung und Zuversicht. Sie vertiefen die Bindung an Gott
und ermutigen dazu, den Weg der Offenheit mit ihm weiterzugehen und noch mehr von
Jesus zu lernen. Die Schweren geben Gott die Möglichkeit sich in unserem Leben zu zeigen
und uns beizustehen. Und sie geben uns die Möglichkeit, Mängel zu erkennen und um
Bestand und Kraft zur Änderung zu bitten.
Mir ist bewusst, dass die, die Gottes Liebe nie bewusst erlebt haben, das Beschriebene
nicht verstehen können, (das konnte ich früher auch nicht), aber das sollte kein
Hinderungsgrund sein, darüber nachzudenken und vielleicht auch einmal in der Bibel und
im Neuen Testament nachzulesen, was Gott vermag, wie Jesus zu uns steht und um was wir
vertrauensvoll bitten können. Nur er wagt, gewinnt. Eure schönen und weniger schönen
Momente mögen sie dazu ermutigen.
Übrigens: Die nichtssagenden Touristenbilder habe ich gelöscht. Die Besonderen, die
Berührenden, Eindrücklichen und Stärkenden habe ich behalten. Ich werde sie nun häufiger
betrachten.
Gottes Reich kann man vergleichen mit einem Bauern und der Saat, die er auf sein Feld
gesät hat. Nach getaner Arbeit legt er sich schlafen, steht wieder auf, und das tagaus,
tagein. Währenddessen wächst die Saat ohne sein Zutun heran. Ganz von selbst lässt die
Erde die Frucht aufgehen: Zuerst kommt der Halm, dann die Ähre und schließlich als Frucht
die Körner. (Mk 4, 26 -28; HfA)
