Ihr seid zur Freiheit berufen! (Gal 5,1+13)
Hallo Du,
am Sonntag, auf dem Weg zur Kirche, begegnete mir zwischen Niederhöchstadt und Eschborn eine Familie auf dem Weg zum Spielplatz. Die Frau war ziemlich verkrampft und redete hitzig auf ihren Mann ein. Der erschien mir sehr reserviert, irritiert und zurückgezogen. Das Kind war abgemeldet und zockelte hinterher.
Eine gute Freundin berichtet mir, dass die Arbeit sie gefangen nimmt, sie überfordere, beherrsche und krank mache und sie darüber hinaus keine Kraft mehr habe für anderes. Auch nicht für Freundschaft oder Erquickendes und Schönes?
Eine ältere Frau erzählt mir vom Tod ihres vor vielen Jahren gestorbenen Mannes und grämt sich noch immer darüber, dass sie ihm in seiner Krankheit nicht mehr hatte helfen können.
Eine junge Frau fühlt sich in den familiären Pflichten eingeengt und gefangen und möchte endlich auch mal das Leben genießen.
Eine liebevolle Bekannte erträgt seit 20 Jahren die Last und die Launen eines drogenabhängigen Ehemannes.
Ein Bekannter ist immer noch auf der Jagd nach Liebes- und Lebensglück.
Sind nicht alle Menschen zur Freiheit berufen?
Zur Freiheit aus Unmündigkeit, aus Zwängen und Abhängigkeiten. Zur Freiheit von falschen Wünschen und Erwartungen, von irreführenden Ansprüchen sowie Vorstellungen und Forderungen ans Leben, an andere oder sich selbst.
Wissen diese Menschen um ihre Berufung? Nein, sie wissen es nicht.
Eingesperrt in ihren versklavenden Pflichten oder in ihrem selbstbezogenen Anspruchskäfig, sehen sie den Horizont nicht. Und weil sie nicht wissen, dass sie und wie sie ihrer Gefangenschaft entkommen können, scheitern Fluchtversuche und sie leiden weiter – bis zum endgültigen Untergang.
Ja in ihrer Kurzsichtigkeit oder gar Blindheit können sie auch nicht fragen, wer sie zur Freiheit aus altem Verhalten, aus falschen Lebenszielen, Werten und Einstellungen beruft. Wer sie in ein neues, besseres Leben führen möchte. Wer ihnen Kraft, Hoffnung und Lebensmut schenkt, damit dies gelingt. Sie wissen auch oft nicht, dass sie etwas falsch machen, weil das, was sie tun und wie sie es tun, in ihrem Umfeld normal ist. So haben sie es gelernt. So hat es sich für sie bewährt.
Jammern und Lästern nicht alle? Sucht nicht jeder und jede den eigenen Vorteil? Wer wünscht sich nicht, dass es ihm oder ihr gut geht, dass seine oder ihre Bedürfnisse oder Wünsche erfüllt werden, dass sie umsorgt werden und im Mittelpunkt stehen, dass andere sich um sie kümmern, dass sie ein Anrecht auf Erleben, auf Spaß, auf Abenteuer, auf Sex, auf Wohlstand oder Ausschweifung haben.
Wer hat nicht Angst, zu kurz zu kommen?
Sind Feindseligkeit, Misstrauen, Verdächtigung und Anschuldigung,
sind (Vor)Verurteilung, Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, Rechthaberei, Zerwürfnisse, Spaltung, Vorwürfe, Neid, Sucht und vieles andere nicht normale und geeignete Mittel, um sich zu schützen, um sich zu wehren oder um sein Ziel zu erreichen?
Wer kann sich in solchen Situationen vorstellen, dass dieser ‚Berufer‘ die Macht hat, auch ihr schwieriges Leben zu einem Besseren, Guten und Erfüllten zu verändern, dass es ihm möglich ist, uns zu Ausgeglichenheit und innerem Frieden zu führen?
Alles ändert sich mit der persönlichen Einstellung, mit der Perspektive, mit dem Blickwinkel der Betrachtung. Das, was ich sehe und wie ich es sehe oder das, was ich für richtig halte, muss nicht wahr oder richtig sein.
Wir sind nicht nur auf uns gestellt. Wir müssen nicht alles selbst vollbringen. Wir müssen nicht immer Recht haben. Wir dürfen uns auch helfen lassen, anderen zuhören, uns etwas sagen lassen, Altes hinterfragen, Standpunkte und Überzeugungen aufgeben, Neues prüfen und annehmen, uns ergänzen, erweitern und verändern lassen.
Wir sind nicht Mittelpunkt, sondern ein Teil von etwas Größerem.
Wir sind nicht oberster Chef in unseren Leben, sondern wir müssen vor Gott Rechenschaft ablegen, uns für unser Tun und Unterlassen verantworten.
Wir können und sollten nicht willkürlich, nach eigenem Gutdünken entscheiden, sondern immer das Wohl unserer Nächsten mit einbeziehen.
Wir sind nicht nur für uns selbst verantwortlich, sondern auch für die, die um uns sind. Sogar auch für die, die wir zu Feinden erklärt haben und so behandeln.
Zur Freiheit hat Christus uns befreit!
Zur Freiheit aus Abhängigkeit, Bestrafung und Leiden, aus alter Gesetzmäßigkeit.
Zur Freiheit aus kurzsichtigem Wollen und vereinnahmendem Sollen oder Müssen.
Zur Freiheit, uns aus freien Stücken für ihn als unseren Herrn und Lehrer zu entscheiden.
Zur Freiheit, immer mehr vertrauend aus seiner Gnade, Güte und Barmherzigkeit zu leben.
Sein Wille geschehe in unseren Leben. Was er für uns will und tut ist weise und richtig. Ich muss mich nicht mehr ängstigen, grämen oder ärgern. Er sorgt für mich. Er weiß viel besser, was gut und richtig für mich ist. Sein Wollen sei mein Wünschen.
Ich kann ‚Nein‘ sagen zu dem, was mich in mein altes Leben zurückziehen will.
Ich kann ‚Nein‘ sagen zu dem, was mich neu gefangen nehmen will.
Ich kann ‚Ja‘ sagen zu dem, der mich belebt, erquickt und begeistert.
Ich bin dankbar für den, zu dem er mich gemacht hat.
Ich sehe mein früheres Leben mit staunendem Abstand. Es musste so sein.
Es hat mich Erfahrungen gelehrt, die ich heute segenbringend einsetzen darf.
Die Schmerzen aus dem Vorher verblassen. Ins Dunkel kam Licht.
Die Freude am Heute trägt. Ich fühle mich wie neu geboren.
Vieles von dem Guten, das in mir schlummerte, ist erwacht und zeigt sich.
Ich wurde gesegnet und darf nun ein Segen für andere sein.
Das macht mich sehend, dankbar, froh und zuversichtlich.
Gott sei Dank dafür.
Und weil ich sehend geworden bin und mitempfinde,
und weil ich die Unterschiede zwischen vorher und nachher kenne,
rührt mich das ohnmächtige Leiden derer, die noch im Alten gefangen sind,
die ihre Berufung nicht kennen.
Bemerkt doch im Leiden euer Hoffen, in der inneren Einsamkeit Gottes rufen.
Erkennt in der Abgestumpftheit die Anteilnahme derer, die euch lieben.
Ergreift die helfende Hand, die Jesus euch entgegenstreckt.
Haltet sie fest, vertraut ihm und lasst euch von ihm führen. Es werde Licht.
Auch ihr seid zur Freiheit berufen!
Zur Freiheit hat Christus euch befreit.
