Am Ende der Fahnenstange (Ps 131.1 GNB)
Hallo Du,
wie viel Weisheit steckt doch in diesem Psalmvers?
<<Herr, ich denke nicht zu hoch von mir,
ich schaue auf niemanden herab.
Ich frage nicht nach weitgesteckten Zielen,
die unerreichbar für mich sind.>>
Das erinnert mich sehr stark an mein Leben.
Mein Leben glich dem auf einer Fahnenstange.
Es war schmal, steil und unbequem.
Ich wollte hoch hinaus,
bis an die Spitze, bis nach ganz oben –
und ich habe es auch geschafft – leider.
Höher, größer, schneller, weiter, schöner, mehr,
das sind die treibenden Werte unseres Ehrgeizes
nach Anerkennung, Liebe, Erfolg, Besitz und Macht,
bestätigt durch die Leistungsgesellschaft,
eingeimpft von Eltern, Freunden und Schule,
vorgelebte Werte des sich Messens und Vergleichens.
Wo führen sie hin, diese „erhabenen“ Ziele?
Ja, sie führen nach oben
und mit jedem Zentimeter mehr
entferne ich mich von den anderen,
von mir selbst und auch von Gott
und das Leben bleibt unter mir zurück.
Um nach oben zu kommen,
brauche ich meine Hände und Füße.
Die Hände und Arme brauche ich
zum festhalten, ziehen und wegstoßen
und ich habe keine Hand mehr frei für andere.
Mit den Füßen kann ich mich schieben,
nach unten treten und mir Raum verschaffen
auf dem schmalen, engen und ach so beliebten Mast.
Mein Blick geht nach oben,
zur ersehnten und erhofften Spitze,
zu meinem selbstgewählten Lebensziel.
Da will ich unbedingt hin,
da ist das Mekka meiner Hoffnungen,
dafür setze ich meine Kräfte und Energien ein,
koste es, was es wolle.
Und weil das hochklettern so anstrengend ist,
möchte ich auch etwas davon haben.
Ich mache mich da, wo ich gerade bin,
dick und breit, damit mich jeder sehen kann
und auch, damit keiner an mir vorbei kommt.
„Was ich aus eigener Kraft erworben,
das gehört mir, das gebe ich nicht mehr her.“
Und so klettere ich, gut sichtbar für alle,
wichtig und gewichtig, immer höher und höher, –
wie ein Affe auf die Palme,
um die Kokosnuss zu pflücken,
den Lohn für seine Mühen.
Nur, da oben sind gar keine Früchte,
nur Schein, Enttäuschung und Ernüchterung.
Alles was ich am Ende der Fahnenstange finde, ist,
dass es dort nicht mehr weitergeht,
dass die Aussicht gut ist, wenn man mal Zeit dafür hat,
dass man von dort aus gut auf andere herabsehen kann.
Und ich finde dort oben Selbsterkenntnis,
den unangenehmen Blick in mein Inneres.
Ich finde meinen Stolz,
„ich habe es alleine geschafft“,
meine Eitelkeit,
„seht her, bin ich nicht toll“,
und meinen Hochmut,
den Übermut, mehr sein zu wollen, als ich bin
und den Mut, mich zum Affen zu machen.
Ich sage Euch, es ist enttäuschend
im Luftschloss an Ende der Fahnenstange,
in der Illusion, wichtig und besser zu sein:
Es geht nicht mehr weiter,
man ist alleine,
es weht ein scharfer Wind,
ständig muss man sich festhalten und anklammern,
es gibt kaum Schlaf und kaum etwas zu essen und zu trinken;
nur Dauerstress, kein Leben und kein Lieben.
Es gibt kein Zurück, denn zurück bedeutet Schmach,
ein Eingeständnis von Irrtum und Fehlbarkeit.
Sehnsüchtig sehe ich zurück, unter mich,
nach unten in die Weite und Breite,
dorthin, wo es sprudelt und quirlt,
dorthin, wo echte Begegnung, Freundschaft und Liebe lebt,
dorthin, wo das wirkliche Leben zuhause ist.
Und ich wünsche mir,
dass diese Fahnenstange schicksalhaft umfällt,
damit ich sie ohne Gesichtsverlust loslassen
und einfach weggehen, mich unter das Volk mischen könnte.
Ich könnte doch meinen liebgewonnenen Stolz,
meine Eitelkeit und meinen Hochmut behalten.
Doch es bleibt mir nichts erspart,
– und das ist auch gut so -,
Ich muss die Aussicht auf weiteren Erfolg
und meine verblendenden Illusionen aufgeben.
Ich muss es wirklich wollen und mich davon lösen.
Ich muss das alte überhebliche Leben loslassen
und aus eigener Kraft hinabsteigen zu den anderen,
auf gleiche Höhe, zurück ins Leben,
– zumindest innerlich.
Und so hangele ich mich mühsam zurück,
immer schneller und leichter,
dem wirklichen Leben entgegen.
Und mit jedem Zentimeter wird es in mir ruhiger.
Das Leben wird wieder breiter, tiefer und erfüllender,
lebendiger, wärmer und geborgener.
Oben war ich unerreichbar
und auch die anderen für mich,
Dort konnte ich nur mich selbst lieben und wärmen
und das ist frustrierend, das geht gar nicht.
Unten aber bin ich mitten drin.
Ich bin erreichbar und andere sind es auch.
Ich kann wieder lieben und geliebt werden;
ich kann wieder berühren und berührt werden;
ich kann wieder sprechen und angesprochen werden.
Ich bin in Augenhöhe, nicht mehr und nicht weniger.
Das berührt mich und spricht mich an.
Endlich wieder Mensch, einer von vielen,
einer der jetzt weiß, was wichtig ist.
Auf der Fahnenstange kann man nicht tanzen!
